Ein Jahr nach der tiefsten Rezession der Nachkriegszeit steigt Nachfrage der Welt nach Stahl bereits auf neue Rekordhöhen. „Wir erleben eine schnellere Erholung, als wir inmitten der Krise und noch im April erwartet haben“, sagte gestern Paolo Rocca, scheidender Präsident des Weltstahlverbands, beim jährlichen Branchentreffen in Tokio. Hauptprofiteure des Booms seien dabei die Länder Asiens. Er eine „wichtige Verschiebung der Industrie nach Osten.“ Der Anteil des Kontinents an der Weltstahlnachfrage werde von 20 Prozent im Jahr 1980 auf 65 Prozent in diesem Jahr steigen.
Der jähe Einbruch der Konjunktur in den Industrieländern hat besonders die Stahlindustrie in den traditionellen Stahlländern Japan, USA und Deutschland schwer getroffen. Die Auslastung der Hütten sank daher auf Werte um 40 Prozent. Hingegen wuchsen die Volkswirtschaften in vielen Schwellenländern auch während der Krise dank Infrastrukturprogrammen, die Stahlnachfrage weiter ankurbelten.
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Nach der neuesten Prognose des Weltstahlverbands wird die globale Nachfrage 2010 um 13,1 Prozent auf das neue Rekordniveau von 1,27 Milliarden Tonnen steigen. Zuletzt hatte der Verband nur mit einem Plus von 8,4 Prozent gerechnet. Für 2011 sagen die Stahlexperten langsameres Wachstum von 5,3 Prozent auf 1,34 Milliarden Tonnen voraus.
Besonders rasant entwickelt sich zurzeit Indien, das bereits im kommenden Jahr nach China und den USA zum drittgrößten Stahlmarkt der Welt aufsteigen könnte. Im südasiatischen Subkontinent wird die Nachfrage nach Ansicht des Weltstahlverbands im Jahr 2011 auf 68 Millionen Tonnen klettern, 32 Prozent mehr als noch 2007.
Zwar erholt sich auch Europas Stahlindustrie schneller als gedacht. Doch die Nachfrage in der EU wird 2010 voraussichtlich noch immer um 25 Prozent unter dem Vorkrisenniveau liegen.
Diese Lücke wird sich nicht rasch schließen lassen: „Wir sind immer noch vorsichtig“, sagt Daniel Novegil, Vorsitzender des Wirtschaftskomitees des Weltstahlverbands. Die Erholung sei bisher hauptsächlich durch die Aufstockung der leeren Lager und die Konjunkturprogramme getrieben, die jetzt aber auslaufen. Salzgitter-Chef Wolfgang Leese glaubt ebenfalls nicht an eine Rückkehr zu den goldenen Jahren vor der Krise, als die Industrie nicht nur viel verkaufte, sondern auch hohe Gewinne einfuhr.
Auch in China stehen die Zeichen auf Abkühlung: Der Weltstahlverband erwartet für 2011 nur noch ein Plus von 3,5 Prozent. Eine Ursache sei, dass Chinas Stahlindustrie in der ersten Jahreshälte auf Lager produziert hat, sagte Roger Manser vom Branchendienst Steel Business Briefing. „Die Lager durch die gesamte Lieferkette sind proppenvoll.“
Zudem will die Regierung Überkapazitäten abbauen und die fragmentierte Stahlindustrie konzentrieren. Bisherige Versuche der Zentralregierung in diese Richtung sind zwar am Widerstand der mächtigen Regionen gescheitert. Doch Deng Qilin, Chef des chinesischen Stahlkonzerns Wuhan Iron & Steel, glaubt, dass es diesmal anders ist. Chinas Stahlproduktion sei in den letzten Jahren von 100 Millionen auf fast 600 Millionen Tonnen gestiegen. „Wir erreichen eine Decke“, meint er. Seiner Meinung solle das Land den Fokus auf Restrukturierung legen, um das Niveau der Stahlindustrie zu erhöhen. Die Produktion werde sich stabilisieren, so Deng. „Nach fünf bis zehn Jahren Anpassung wird die Produkt sinken.“
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