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Mittwoch, 6. Oktober 2010

Weltstahlkonferenz: Asien wird Stahlküche der Welt

Ein Jahr nach der tiefsten Rezession der Nachkriegszeit steigt Nachfrage der Welt nach Stahl bereits auf neue Rekordhöhen. „Wir erleben eine schnellere Erholung, als wir inmitten der Krise und noch im April erwartet haben“, sagte gestern Paolo Rocca, scheidender Präsident des Weltstahlverbands, beim jährlichen Branchentreffen in Tokio. Hauptprofiteure des Booms seien dabei die Länder Asiens. Er eine „wichtige Verschiebung der Industrie nach Osten.“  Der Anteil des Kontinents an der Weltstahlnachfrage werde von 20 Prozent im Jahr 1980 auf 65 Prozent in diesem Jahr steigen.

Der jähe Einbruch der Konjunktur in den Industrieländern hat besonders die Stahlindustrie in den traditionellen Stahlländern Japan, USA und Deutschland schwer getroffen. Die Auslastung der Hütten sank daher auf Werte um 40 Prozent. Hingegen wuchsen die Volkswirtschaften in vielen Schwellenländern auch während der Krise dank Infrastrukturprogrammen, die Stahlnachfrage weiter ankurbelten.

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Nach der neuesten Prognose des Weltstahlverbands wird die globale Nachfrage 2010 um 13,1 Prozent auf das neue Rekordniveau von 1,27 Milliarden Tonnen steigen. Zuletzt hatte der Verband nur mit einem Plus von 8,4 Prozent gerechnet. Für 2011 sagen die Stahlexperten langsameres Wachstum von 5,3 Prozent auf 1,34 Milliarden Tonnen voraus.

Besonders rasant entwickelt sich zurzeit Indien, das bereits im kommenden Jahr nach China und den USA zum drittgrößten Stahlmarkt der Welt aufsteigen könnte. Im südasiatischen Subkontinent wird die Nachfrage nach Ansicht des Weltstahlverbands im Jahr 2011 auf 68 Millionen Tonnen klettern, 32 Prozent mehr als noch 2007.
Zwar erholt sich auch Europas Stahlindustrie schneller als gedacht. Doch die Nachfrage in der EU wird 2010 voraussichtlich noch immer um 25 Prozent unter dem Vorkrisenniveau liegen. 

Diese Lücke wird sich nicht rasch schließen lassen: „Wir sind immer noch vorsichtig“, sagt Daniel Novegil, Vorsitzender des Wirtschaftskomitees des Weltstahlverbands. Die Erholung sei bisher hauptsächlich durch die Aufstockung der leeren Lager und die Konjunkturprogramme getrieben, die jetzt aber auslaufen. Salzgitter-Chef Wolfgang Leese glaubt ebenfalls nicht an eine Rückkehr zu den goldenen Jahren vor der Krise, als die Industrie nicht nur viel verkaufte, sondern auch hohe Gewinne einfuhr.

Auch in China stehen die Zeichen auf Abkühlung: Der Weltstahlverband erwartet für 2011 nur noch ein Plus von 3,5 Prozent. Eine Ursache sei, dass Chinas Stahlindustrie in der ersten Jahreshälte auf Lager produziert hat, sagte Roger Manser vom Branchendienst Steel Business Briefing. „Die Lager durch die gesamte Lieferkette sind proppenvoll.“

Zudem will die Regierung Überkapazitäten abbauen und die fragmentierte Stahlindustrie konzentrieren. Bisherige Versuche der Zentralregierung in diese Richtung sind zwar am Widerstand der mächtigen Regionen gescheitert. Doch Deng Qilin, Chef des chinesischen Stahlkonzerns Wuhan Iron & Steel, glaubt, dass es diesmal anders ist. Chinas Stahlproduktion sei in den letzten Jahren von 100 Millionen auf fast 600 Millionen Tonnen gestiegen. „Wir erreichen eine Decke“, meint er. Seiner Meinung solle das Land den Fokus auf Restrukturierung legen, um das Niveau der Stahlindustrie zu erhöhen. Die Produktion werde sich stabilisieren, so Deng. „Nach fünf bis zehn Jahren Anpassung wird die Produkt sinken.“

Weltstahlkonferenz: Hersteller im Klammergriff der Erzlieferanten

Weltweit suchen Stahlhersteller nach Lösungen im Umgang mit den neuen Erzverträgen. „Ich frage alle: Was können wir tun?“, sagte gestern etwa Lakshmi Mittal, Chef des größten Stahlkonzerns ArcelorMittal. Eine Antwort gebe es noch nicht, sondern wohl erst im nächsten Jahr, erwartet er: „Das System wurde ja gerade erst verkündet, und auch die Eisenerzanbieter lernen noch dazu.“

Die Verkürzung der Laufzeiten von Eisenerzverträgen von einem Jahr auf drei Monate stellt die Stahlbranche vor große Probleme. Denn ein Großteil der Kunden ist seinerseits nicht dazu bereit, die Laufzeiten zu verkürzen. So bleiben die Stahlhersteller künftig auf den höheren Rohstoffkosten sitzen, wenn diese von Quartal zu Quartal steigen.

„Bei einem Bauprojekt, das über mehrere Jahre geht, muss man einschätzen können, wie teuer das Rohmaterial ist“, argumentierte Ian Christmas, Generaldirektor des Weltstahlverbands. Auch die Autoindustrie plant ihre Produktion in langen Zyklen und steht daher kurzfristigen – vielleicht sogar durch Spekulation verstärkten – Preissprüngen extrem ablehnend gegenüber.

Die Stahlindustrie würde daher liebend gern zum alten System der Jahresverträge zurückkehren und versucht die Minenbetreiber zurzeit davon zu überzeugen, dass Volatilität allen schadet. Rohstoffkonzerne wie BHP Billiton liebäugeln hingegen sogar mit einer weiteren Verkürzung der Laufzeit auf einen Monat.

Das Ergebnis des Fingerhakelns zwischen Stahl- und Minenkonzernen sei noch nicht abzusehen, sagen Stahlmanager. Ein wichtiges Indiz wird aber sein, wie Mittal sich verhält. „Wir werden machen, was der Marktführer macht“, sagte etwa der Chef des zweitgrößten deutschen Stahlkonzerns Salzgitter, Wolfgang Leese. Faktisch jedoch kontrollieren die drei größten Minenkonzerne 70 Prozent des globalen Erzhandels.

Eine große Sorge der Stahlkonzerne ist, dass die Banken mit Finanzinstrumenten in den Markt springen, sagte Stahllobbyist Christmas. Auf der einen Seite könne man zwar argumentieren, dass damit das Risiko abgesichert werde. „Aber die Industrie befürchtet, dass die Börsen als Spielkasinos und nicht zum Hedgen von Risiken genutzt werden“, so Christmas.

Alternativen wie der Einstieg in Minenprojekte stehen nicht jedem Unternehmen offen. Salzgitter hat die Idee beispielsweise eingemottet: „Wir haben nicht die Finanzkraft, so etwas zu machen“, so Leese.
Gleichzeitig stoßen die Stahlhersteller an Grenzen, die höheren Rohstoffkosten durchzureichen. „Die Preiserhöhungen konnten wir nicht komplett weitergeben“, sagte der Stahlvorstand bei Salzgitter, Johannes Nonn. Ähnliche Erfahrungen machten auch die Stahlkonzerne in Japan. 

Zwar rechnen Analysten damit, dass die Rohstoffpreise in der zweiten Jahreshälfte nachgeben und die Hersteller davon profitieren könnten. Salzgitter-Chef Leese hält das zwar für zu optimistisch. Dennoch werde sein Unternehmen „dieses Jahr mit einem blauen Auge davonkommen“: Er erwarte weiterhin ein ausgeglichenes Ergebnis.

Ein weiteres Rohstoffproblem droht von anderer Seite: Die Stahlhersteller kämpfen mit einer Verschlechterung der Koksqualität. „Die fette Kokskohle ist recht knapp, und nach Vorhersagen wird die Lage angespannt bleiben“, sagte Nonn.

Weltstahlkonferenz: Weltstahlverband baut erstmals Chinesen zum Chef auf

Zeitenwende im Weltstahlverband: Erstmals wird 2011 ein Chinese zum Präsidenten der traditionsbewussten Organisation aufsteigen. Xiaogang Zhang, Chef von Anshan Iron and Steel, wurde gestern auf der Weltstahlkonferenz in Tokio zunächst zum Vizevorsitzenden gewählt. 2011 soll er dann die Nachfolge des neuen Vorsitzenden Hajime Bada antreten, Chef des japanischen Stahlkonzerns JFE.

Die World Steel Association trägt damit der Machtverschiebung in der Weltstahlindustrie Rechnung. Obwohl China fast die Hälfte der weltweiten Stahlnachfrage und -produktion repräsentiert, stand die Stahlindustrie bislang im Abseits: Bis Ende 2010 werden erst sieben der größten chinesischen Hersteller in dem Verband als Einzelmitglieder vertreten sein. Das entspricht nur etwa 25 Prozent der heimischen Stahlindustrie.

Doch die alteingesessenen Stahlbarone aus Europa, Japan und den USA können die Chinesen in ihren Reihen nicht länger übergehen. Schon auf der Weltstahlkonferenz im vergangenen Jahr in Chinas Hauptstadt Peking seien die Chinesen, „ich sage es mal höflich, sehr selbstbewusst aufgetreten“, sagt ein deutscher Stahlmanager. „Zhang hat offenbar besondere Ambitionen“, meint ein anderer Industrieinsider.

Der 1954 geborene Chinese ist General Manager der Angang-Gruppe und Präsident von Anshan Steel, einem der größten chinesischen Stahlkonzerne. Er gilt als Metallurgie-Experte und hat hohe staatliche Auszeichnungen erhalten, ist aber als Ex-Chef des chinesischen Stahlverbands mit Lobbying bestens vertraut.

Brancheninsider halten ihn daher auch eher für einen Politiker als einen Manager. Tatsächlich ist Zhang sowohl alternierendes Mitglied im Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas als auch Vertreter im elften nationalen Volkskongress.

Aus der FTD, 5.10.2010