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Donnerstag, 18. November 2010

"Twitter gibt China erstmals volle Redefreiheit" - Chinas Star-Blogger Michael Anti über die Macht Twitters in China und Japans kolossales Missverständnis der chinesischen Politik, Teil 1

Auf Technology Review erscheint am Donnerstag der erste Teil meiner Aufzeichnungen eines Pressegesprächs mit Michael Anti (Zhao Jing), einem der bekanntesten Blogger Chinas.


Der erste Teil dreht sich um das Internet und China, später werde ich noch in einem zweiten Teil schildern, warum Anti meint, dass Japan durch das totale Ignorieren der chinesischen Bloggerszene China gründlich missversteht. 


Twitter belebt Chinas Zivilgesellschaft

Der chinesischer Starblogger- und -Twitterer Michael Anti erzählt in Tokio, wie Twitter China seines Erachtens erstmals in der Geschichte volle Redefreiheit verschafft.

Als studierter Chinakundler (lang ists her) bin ich immer froh, neues über China zu erfahren. Als anregender Quell entpuppte sich Michael Anti, der mit über 30000 Followern viertmeist gefolgte Twitterer der Volksrepublik China (twitter.com/mranti). Zhao Jing heißt er mit bürgerlichen Namen, hält sich gerade für zwei Monate in Japan auf und relativierte einige meiner Vorurteile. Aus meinem japanischen Exil hatte ich in den letzten Jahren den Eindruck gewonnen, dass Chinas Regierung den Beweis erbringt, wie gut sich das vermeintlich ach so demokratische Internet zur Gedankenkontrolle eignet. Das scheint mir auch noch immer so zu sein, nur eben klappt es bei weitem nicht vollständig, zeigte Anti. Seine These: Durch das Internet und vor allem durch Twitter ist eine „sehr lebendige Zivilgesellschaft“ entstanden.

Seine Aussage überrascht. Denn nur 100000 Chinesen twittern. Aber die wenigen entfalten eine große Wirkung, da sie zur Informationselite des Landes gehören und oft selbst Journalisten sind. Außerdem ist der Charakter von Twitter mit seiner Beschränkung auf 140 Zeichen in China dank des Schriftsystems nicht der eines Kurztext- sondern eines richtigen Nachrichtendienstes. 140 chinesische Schriftzeichen sind bereits ein kleiner Text, 140 Anschläge in Buchstaben nur ein Satz.

Immer wieder schafft es Twitter daher, vor allem von der chinesischen Regierung unterdrückte Geschichte vor allem in ausländische, manchmal aber auch in chinesische Zeitungen zu bringen. Ein Beispiel ist die Ehefrau des inhaftierten Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo. Liu Xia hat über ihr Twitter-Account twitter.com/liuxia64 der Welt umgehend gepetzt, wie sie von der Staatsmacht unter Druck gesetzt wurde. Und flugs fanden sich ihre Tweets auf BBC wieder. Eine Demo für den Künstler Ai Weiwei, die erste Demo nahe des Tiananmen-Platzes seit der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung, schaffte es sogar dank Twitter in die englischsprachige Ausgabe der Global Times einem Sprachrohr der kommunistischen Partei Chinas, inklusive getwittertem Bild. Die Zensoren hätten nicht die Ressourcen, Tweets minütlich zu folgen, erklärt Anti den Erfolg: „Twitter ist die erste nationale Plattform für 100-prozentige Redefreiheit in Chinas Geschichte.“

Man merkt, Anti ist Journalist. Er liebt das starke, überspitzte Zitat. Ganz so gemütlich geht es im Reich der Mitte freilich nicht zu. Der einzelne Twitterant läuft schon noch Gefahr, dass die Polizei an seine Tür klopft, wenn der Obrigkeit ein Tweet missfällt, gesteht Anti. Denn neben den Fans „folgen“ die Zensoren den frechsten Bloggern. Aber im großen Ganzen gesehen kann man Antis Gedankengang dann wieder verstehen. Denn dummerweise (aus der Sicht der Staatsmacht gesehen) ist das Malheur im Zweifel selbst dann schon geschehen, wenn der missliebige Tweet zeitnah gesperrt werden kann. Schließlich können heute schon Minuten für die pandemische Infektion der Netizen mit ungesundem Gedankengut ausreichen.

Mitverantwortlich dafür ist der Charakter der chinesischen Blog-Sphäre, der sich sehr stark von der anderer Länder unterscheidet. Idealtypisch gesehen ist das Internet in den USA das Medium des Anti-Mainstreams, in Japan des privaten Klatsches. In China hingegen ist die Blogsphäre der Tummelplatz professioneller Journalisten der Mainstream-Medien, die gerne mal im Internet Geschichten veröffentlichen, die sie in ihren Blättern nicht los werden, erklärt Anti.

Die Ursache sei Chinas Mediengeschichte, so Anti. Als die kommerziellen Medien im Jahr 2000 ihre Expansion starteten, fanden sie keine qualifizierten Journalisten. Denn die Schulbücher der Journalistenschulen seien „Mist“. Also heuerten die Herausgeber in ihrer Not „Blogger“ der ersten Stunde wie Anti an, die durch ihre Arbeit im Internet bewiesen hätten, dass sie schreiben können. „Ich bin eigentlich ein Computerfreak“, kokettiert Anti mit seiner Vergangenheit. Das Ergebnis: Journalismus und Bloggen seien in China von Beginn an verschmolzen. „Wir können das Internet und die Medien nicht trennen“, so Anti. Für den Staat sei das Internet daher das „Schlachtfeld“. Für Anti ist es hingegen „der Platz der Zivilgesellschaft.“

Das Internet wird das Denken der Chinesen verändern, sagt er voraus. 1. wird die neue Generation Redefreiheit als angeborenes Recht betrachten. „Selbst Nationalisten wollen Redefreiheit, da gibt es Konsens.“ 2. Die jungen Netizen betrachten „Information“ als ihren Besitz und hätten daher auch Google beim Konflikt mit der chinesischen Regierung verteidigt. 3. empfinden immer mehr Menschen und auch die Partei „partizipative Demokratie“ als gut. Der Gesellschaftsvertrag sieht in etwa so aus: Die Partei gewährt recht viele individuelle Freiheiten und vor allem Wohlstandswachstum, dafür verzichten die Bürger darauf, sich politisch zu organisieren. Zuwiderhandlung wird bisweilen wird mit Einkerkerung bestraft, siehe Liu Xiaobo.

Anti warnt uns daher in einem interessanten Dreh seiner Argumentation davor, wegen des Wandels auf eine Demokratisierung Chinas im westlichen Sinne zu hoffen. Partizipative Demokratie sei nicht gleich repräsentative Demokratie mit vom Volk gewählten Politikern, meint Anti. „Es wird nicht in Richtung repräsentative Demokratie gehen.“

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Donnerstag, 14. Januar 2010

Google vs. China – Das Internet ist nicht per se demokratisch

Nach Googles Rückzug aus China kann endlich einer der hartnäckigsten Mythen über das Internet begraben werden: Das Internet ist nicht inhärent demokratisch. Zu Anfang mag es den Anschein gegeben haben, weil den Staaten vielleicht die Technik, aber vor allem der politischen Wille zur Überwachung und Unterdrückung der virtuellen Welt fehlte. Aber wie Chinas Regierung in den letzten Jahren gezeigt hat, kann das Internet nicht nur kontrolliert, sondern sogar zum Instrument der Diktatur gemacht werden. Wahrscheinlich funktioniert die Überwachung vermeintlich subversiver Elemente nun sogar wirkungsvoller denn je, die notwendige Skrupellosigkeit seitens der Staatsmacht vorausgesetzt.

Mitlesen, Bewegungen im Internet zu verfolgen, Profile erstellen ist sogar einfacher möglich, als es zu Zeiten des analogen Zeitalters war, als man beispielsweise noch die Wohnung aufbrechen musste, um an die privaten Notizen zu gelangen. Auch lassen sich Internetseiten inzwischen recht wirkungsvoll blocken. Ich konnte selbst meinen eigenen Blog und Facebook nicht lesen, als ich in China war, weil anscheinend Blogger.com unter Generalverdacht steht. 

Selbst die Tatsache, dass es in China Mittel und Wege gibt, Kontrollen zu umgehen und Nachrichten zu verbreiten, unterstützt das Internet-ist-demokratisch-Argument meines Erachtens nicht. Erstens gibt es in Diktaturen immer Widerstand und Risse in der Überwachung – in Nordkorea mögen sie kleiner sein, doch selbst da gibt es sie. 

Zweitens geht es nicht um eine Vollkontrolle, die ist in China wegen der Menschenmasse und der vielen Außenkontakte seiner Bürger ohnehin nicht möglich. Aber die chinesische Geheimpolizei weiß vermutlich recht genau, wer die Menschen sind, die der Staat als Feinde definiert hat. Bei Bedarf können mögliche Aufrührer einkassiert und weggeschlossen werden. 

Außerdem hat die Staatsmacht gelernt, dass sich das Internet, besonders in seiner mobilen Form über das Handy, bei Gefahr im Verzug wortwörtlich und ganz real ausschalten lässt. Ohne Netz kann sich der Feind auch nicht mehr vernetzen. Und der Staat gewinnt Zeit zur Schadensbegrenzung.

Die Schlussfolgerung ist unbequem. Die virtuelle sieht gar nicht so grundverschiedenen von der realen Welt aus. Menschenrechte, Demokratie und – das ich möchte ergänzen – die Herrschaft des Rechts (des Urheberrechts beispielsweise) muss hier wie dort verteidigt oder erkämpft werden. Demokratie wird den Menschen nicht in den Schoß gelegt, auch nicht durch das Internet.