Dienstag, 9. November 2010

Mutiger Kan: Als erster Premier greift Kan die Agrarlobby frontal an

Ist er kühn oder vermessen? Japans Premier Naoto Kan verspricht Beitrittsgespräche zu einer transpazifischer Freihandelszone. Aber kann Kan die extrem hohen Schutzzölle für die Landwirtschaft wirklich senken?


Japan steht vor einem historischen Durchbruch in seiner Freihandelsstrategie. Gegen massive Widerstände der Agrarlobby hat Japans Ministerpräsident Naoto Kan heute gelobt, das Land in das transpazifische Partnerschaftsabkommen (TPP) zu führen. Kan will durch die Liberalisierung Japans Wirtschaft beleben. Die TPP wird derzeit von neun amerikanischen und asiatischen Ländern, darunter den USA, ausgehandelt, und erfordert auch eine weitgehende Liberalisierung der Agrarimporte, die Japan bisher immer abgelehnt hat.


In einem ersten Schritt hat das Kabinett heute die Aufnahme vorläufiger Gespräche beschlossen. Auf dem Apec-Gipfel am Wochenende wird Kan seinen Plan vorstellen. Bis Juni 2011 will die Regierung dann entscheiden, ob offizielle Verhandlungen begonnen werden sollen. 


Kans Plan ist kühn, denn der Widerstand ist so stark wie die Schutzzölle hoch sind. Bei Reis beträgt der Importzoll sagenhafte 778 Prozent, bei Bohnen 403 Prozent, bei Butter 360 Prozent, bei Weizen 252 Prozent und beim auf Druck der USA und Australiens bereits recht weitgehend liberalisierten Rindfleischimporte immerhin noch 38,5 Prozent. 


Bisher haben die Vertreter der Landwirte in allen Parteien noch jede Diskussion über die Senkungen der Barrieren im Ansatz gestoppt. Doch diesmal sind sie stärker gefährdet, denn erstmals hat sich ein Premier mit seinem Wort dafür eingesetzt, eine der letzten Bastionen des alten, durch Schranken geschützten Japans zu schleifen. 


Der Kampf wird mit dementsprechend harten Bandagen geführt. Öffentlich warnen die Landwirtschaftsvertreter, dass eine Senkung der Importzölle den Bauernstand ausradieren und Japans ohnehin niedrige Selbstversorgungsrate mit Lebensmitteln von 40 auf 14 Prozent absacken lassen würde. Denn die japanischen Landwirte könnten ohne den Schutz nicht wettbewerbsfähig produzieren. 10 Kilogramm in Japan produzierter Reis kosten nämlich derzeit 2450 Yen, 10 Kilogramm kalifornischer Reis 700 Yen. 


Befürworter der Liberalisierung wenden hingegen ein, dass Japans Landwirtschaft durch ihre Zersplitterung in Kleinsthöfe extrem ineffizient ist und der Einfluss des Freihandels durch die seit Jahrzehnten verschleppten Boden- und Strukturreformen aufgefangen werden könne. Die durchschnittliche Hofgröße beträgt gerade eineinhalb Fußballfelder, und Unternehmen war landwirtschaftliches Engagement bis vor wenigen Jahren verboten. 


Der Kampf wird interessant. Ich glaube, dass damit die Stunde der Reformen geschlagen hat. Denn Fakt ist, dass den Landwirten buchstäblich die Zeit davon läuft. Der Großteil der Bauernschaft befindet sich bereits jenseits des Rentenalters. Viele Bauern werden demnächst selbst ihre kleinen Felder nicht mehr bestellen können. Doch Hoferben sind Mangelware, weil die kleinen Schollen in den meisten Fällen schon lange keine Familie mehr ernähren können. Ein Großteil der Bauern arbeiten daher Teilzeit in anderen Berufen. Aus rein biologischen Gründen muss Japan daher seine Landwirtschaft reformieren.


Perfide sind die Argumente: Die Verbraucher wollen gerne für gute Produkte aus Japan tiefer in die Tasche greifen, die hohe Qualität der Lebensmittel sei ihnen das wert, wurde heute in einer Talkshow argumentiert. Doch komischerweise trauen sich die Bauernfreunde nicht, ihre These durch einen Test unter Beweis zu stellen.

Wahrscheinlich fürchten sie, dass den Verbrauchern ein bisschen Reform ganz recht sein könnte, besonders nach diesem Sommer, der durch zuviel Regen und Sonne die Ernten versaut und die Obst- und Gemüsepreise auf extrem luftige Höhen getrieben hat. Ein Kopf Weißkohl 3,30 Euro, eine Tomate 1 Euro, eine kleine Gurke 0,75 Cent (Preise von gestern) - solche Preise tun auch Japanern weh. Ich frage mich, ob dadurch der Absatz von Vitamin-Pillen steigt, weil die Leute der Lust auf Obst vergeht.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen