Ein möglicher Gau im Bebenreaktor von Fukushima erschüttert die Grundlagen von Japans Energiepolitik: die Mär von absoluten Erdbebensicherheit von Japans Atomreaktoren.
Masashi Goto haftet wahrlich nicht der Geruch eines Kernkraftgegners an. Bis vor eineinhalb Jahren war er nach eigener Aussage Gruppenleiter für das Design von Reaktorsicherheitsbehältern beim Kraftwerksbauer Toshiba, der den Krisenreaktor in Japans Erdbebengebiet gebaut hat. Doch gestern warnte er öffentlich vor der Gefahr eines zweiten Tschernobyl. Er halte die Gefahr zwar für sehr gering, aber sollten alle Kühlungsversuche versagen, könnte eine Kernschmelze einer gewaltigen Dampfexplosion führen. Radiokativität könnte weit über den bisherigen 20-Kilometer weiten Sperrbezirk oder 50 Kilometer verteilt werden. „Meine große Sorge ist allerdings, dass eine Explosion in einem auch die anderen Meiler berühren könnte“, sagt Goto. Im schwersten betroffenen Kraftwerkskomplex Fukushima 1 stehen die drei aktiven Reaktoren dicht nebeneinander. Und bei allen gibt es Probleme mit der Kühlung des Kerns, weil die Energieversorgung der Notgeneration fürs Kühlsystem teilweise unterbrochen war.
Goto ist der erste Fachmann aus der Industrie, der öffentlich über einen Super-Gau spricht. Es ist seine Art des Protests gegen die Informationspolitik der Regierung und der Medien, die die Bürger bisher nicht mit dem Durchspielen von Horrorszenarien belasten. Die Situation in den von einem Megabeben beschädigten zwei Kernkraftwerkskomplexen in Fukushima sei unter Kontrolle. Eine Gefahr der Überhitzung bestünde nicht, so Offizielle. "Die Regierung erklärt die Situation nicht offen genug", kritisiert Atsushi Yamada, Journalist der Zeitschrift Aera.
Bislang mahnt nur das „Citizen's Nuclear Information Center“ (CNIC), eine kleine, aber hochangesehene Bürgergruppe, vor den Gefahren. „Von den zehn Meilern der zwei Anlagen besteht bei sieben zumindest die Möglichkeit einer Kernschmelze", sagt CNIC-Chef Hideyasu Ban, früher Mitglied der japanischen Atomplanungskommission. Die anderen drei nicht betroffenen Meiler waren gerade abgeschaltet, als das Beben und der vernichtende Tsunami trafen.
Der Meiler eins der sechs Meiler vom Kraftwerkskomplex Fukushima 1 konnte nur durch verzweifelte Notoperationen am Durchbrennen gehindert werden. Erst ordnete die Regierung an, radioaktives Gas abzulassen. Dann ließ sie mit Bor versetztes Meerwasser in den Kern und den Sicherheitsbehälter pumpen. Damit kann dieser Meiler niemals mehr ans Netz gehen. Nun hat die Regierung auch den Meiler 3 auf gleiche Weise geopfert, weil die Kühlung ausgefallen war. Sogar der vorsichtige Kabinettamtschef Yukio Edano hat zugegeben, dass sich die Brennstäbe in dem Reaktor bereits verformt hätten.
Noch besteht wie gesagt keine unmittelbare Gefahr. "Wir sind noch weit von einem Tschernobyl-Szenario entfernt", sagt ein Experte im Außenministerium. Andere Experten sagen, dass der Fall-out selbst bei einer Explosion räumlich weit beschränkter als in Tschernobyl sein würden. Aber schon die entfernte Möglichkeit eines Gau reicht, damit die deutsche und die französische Botschaften fordern ihre Bürger mehr oder weniger direkt zum Verlassen der Region Tokio auf.
Die deutsche Botschaft schreibt auf ihrer Homepage: „Die Botschaft empfiehlt, die japanischen Medien aufmerksam zu verfolgen. Sie empfiehlt ferner allen Deutschen im Krisengebiet und im Großraum Tokyo/Yokohama zu prüfen, ob ihre Anwesenheit in Japan derzeit erforderlich ist, und, wenn dies nicht der Fall sein sollte, ihre Ausreise aus dem Land in Erwägung zu ziehen. Dies gilt insbesondere für Familien mit kleinen Kindern.“ Frankreich tut das gleiche, mit Hinweis auf ein mögliches Großbeben im Raum Tokio.
Ein aus Bans Sicht willkommenes Opfer könnte allerdings das ehrgeizige Atomprogramm der Regierung werden. Seit Jahrzehnten setzt Japans auf Atomkraft, um das ressourcenarme Land unabhängiger vom Öl zu machen – allen Warnungen vor Erdbeben zum Trotz. 55 Meiler produzieren 34 Prozent des Stroms für Asiens zweitgrößte Wirtschaftsmacht. Die Regierung will den Anteil mittelfristig auf 40 Prozent und langfristig auf 70 Prozent erhöhen.
Kritik wurde unterdrückt, obwohl schwere Unfälle die Skepsis in der Bevölkerung haben steigen lassen. 1994 kam es im experimentellen Schnellen Brüter zu einem schweren Brand. 1999 kam es im Atomforschungszentrum zu einer nuklearen Kettenreaktion, als drei Mitarbeiter ungesichert hochangereichertes Uran zusammenrührten. 2007 gab es sogar eine regelrechte Generalprobe für das heutige Desaster.
Direkt unter dem größten Kraftwerkskomplex der Welt in Kashiwazaki-Karima in der Präfektur Niigata bebte die Erde und zwar dreimal stärker als das maximal für möglich gehalten Beben. Es brannte auf dem Reaktorgelände, Radioaktivität trat aus. Doch nichts schlimmes passierte. Die Regierung sah sich in ihrer Mär von der Erdbebensicherheit bestätigt und forcierte den Ausbau der vermeintlich so sauberen Energie.
Diesmal allerdings war das Beben nicht nur dreimal, sondern 10 mal stärker als für möglich gehalten. Und die Reaktoren haben nicht standgehalten. Zum Glück bläst der Wind in Richtung Meer. Ban von CNIC fordert daher den Einstieg in den Ausstieg. Vielleicht werden ihn die Japaner diesmal anhören. denn die Japaner versetzt das Drama am Meiler in Fukushima wirklich in Angst. (PS bitte tippfehler zu entschuldigen)
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Hallo,
AntwortenLöschenvielen Dank für die Einblicke in die aktuelle Situation in Japan. Als besorgter Leser ihrer Berichte in diesem Blog und u.a. der TR hoffe ich das es Ihnen den Umständen entsprechend gut geht.
Ich hoffe das es nicht noch viel schlimmer kommt.
Werden sie selbst aus Japan nach Deutschland zurückkehren?
Mit besten Wünschen
M. Burbach
Hallo Martin,
AntwortenLöschenschön dass es dir den Umständen entsprechend gut geht. Die Nachrichten die wir hier in Deuschland bekommen lassen schreckliches vermuten.
Liebe Grüße Marcus und Susanne